Der Nocebo-Effekt
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Der Nocebo-Effekt
von Dani am 01.02.2011 21:02Ich weiß schon, warum ich mir vor der Einnahme von neuen Medikamenten so gut wie nie die möglichen Nebenwirkungen durchlese
Das erstmals 1961 beschriebene Nocebo-Phänomen (lat: „Ich werde schaden") ist weitaus weniger bekannt als der Placebo-Effekt. Nebenwirkungen unter Placebo treten auf, wenn trotz positiver Erwartungshaltung (nämlich Heilung, Besserung) negative Effekte (also z.B. Verschlechterung der Erkrankung, Nebenwirkungen) auftreten. Beim Nocebo-Phänomen hingegen erwartet der Patient ein spezifisches negatives Ereignis, und dieses tritt auch tatsächlich ein. Es handelt sich also sozusagen um eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.
So litten beispielsweise Teilnehmer eines klinischen Studie mit Aspirin, die man vor möglichen gastrointestinalen Nebenwirkungen gewarnt hatte, dreimal häufiger an diesen Symptomen, als jene Teilnehmer, denen man keine "Warnung" gegeben hatte.
Mit dem Nocebo-Phänomen lassen sich unspezifische Nebenwirkungen von Medikamenten, also solche, die nicht direkt aus der spezifischen biologischen oder pharmakologischen Aktivität eines Medikamentes resultieren, gut erklären: Eine negative, pessimistische Grundeinstellung des Patienten, schlechte Erfahrung mit vorhergehenden medikamentösen Behandlungen, negative Information, die der Patient von Arzt, Apotheke oder aus der Presse erhält, können ebenso Nebenwirkungen hervorrufen wie psychologische Charakteristika, z.B. Ängstlichkeit, Depression u.a. Auch das Lesen der Packungsbeilage mit seiner Vielzahl von aufgeführten Nebenwirkungen kann die Erwartungshaltung des Patienten stark beeinflussen und zum Auftreten der angegebenen Nebenwirkungen führen. Unspezifische Nebenwirkungen, die mit dem Nocebo-Phänomen erklärt werden können, sind häufig diffuse leichte Beschwerden (wie Übelkeit, Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Bauchschmerzen, Verstopfung) teilweise aber auch Symptome der zu Grunde liegenden/ behandelten Erkrankung selbst (z.B. Schmerzen, Erbrechen). In eigenen Untersuchungen haben wir zeigen können, dass die Art der Frageform die Häufigkeit der Nennung von Nebenwirkungen durch den Patienten sehr stark beeinflussen kann. Bei der Frage nach Nebenwirkung in Form einer Checkliste mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten wurden bei einer Untersuchung zu Aspirin Migräne eine doppelt so hohe Nebenwirkungsinzidenz angegeben wie bei der offenen Abfrage.
Quelle
Im Jahr 2007 wollte sich ein junger Amerikaner das Leben nehmen, weil er unter Liebeskummer litt. Er schluckte 29 Kapseln eines Antidepressivums, woraufhin sein Blutdruck dramatisch absackte und er in die Notaufnahme eingeliefert wurde. Im Krankenhaus stellten die Ärzte jedoch fest, dass der Mann Proband in einer Medikamentenstudie war und zu jener Hälfte der Patienten gehörte, die nur ein Scheinmedikament und kein Antidepressivum erhalten hatte. Als er erfuhr, dass er statt eines echten Medikaments nur Placebos geschluckt hatte, verschwanden sämtliche Symptome schlagartig.
Der Fall, der im Fachblatt „General Hospital Psychiatry“ publiziert wurde, gilt inzwischen als Paradebeispiel für den Nocebo-Effekt (lateinisch: ich werde schaden). Er ist der böse und weniger bekannte kleine Bruder des Placebo-Effekts: Allein negative Erwartungen und Gedanken können Symptome hervorrufen, womöglich sogar krank machen und tödlich sein. Dieser Effekt tritt etwa auch auf, wenn Ärzte Fehldiagnosen stellen oder Teilnehmer an Medikamentenstudien von Nebenwirkungen berichten, die sie gar nicht haben können, weil sie zu der der Placebo-Vergleichsgruppe gehören.
Quelle
Liebe Grüße
Dani
Das ganze Leben ist ein Irrenhaus und das Forum ist die Zentrale!
Patina
Gelöschter Benutzer
Re: Der Nocebo-Effekt
von Patina am 01.02.2011 22:48Ich hab erstmal 'nocere' in meinem Lateinwörterbuch nachgeschlagen. Nicht dass die uns hier einen Begriff unterschmuggeln, der ein' Placebo' ist. Aber es stimmt: ' Ich werde schaden'.
Im Vergleich zu meinen Symptomen sind die Nebenwirkungen wirklich lächerlich. Den Winzling Nocebo nehm ich da gern mit.
Hab dir 2 Tippfehler rausgemacht, Dani.
karin-maria
Gelöschter Benutzer
Re: Der Nocebo-Effekt
von karin-maria am 02.02.2011 08:35ein schönes beispiel mehr wieviel wahrheit in dem alten sprichwort, dass der glaube berge versetzen kann, steckt -
im positiven wie im negativen
es ist ja schon länger bekannt, dass sich z.b. traumatische kindheitserfahrungen regelrecht ins hirn brennen, also dort messbare veränderungen verursachen und in der folge zu körperlichen symptomen bis hin zu krankheitsbildern führen können
also kann erlebtes und natürlich auch alles wovon man unwiderbringlich überzeugt ist (weil dieses ja die momentane eigene wirklichkeit darstellt) - schaden bzw. nützen -
sehr interessante phänomene über die ich selbst schon länger sinniere
karin-maria
Re: Der Nocebo-Effekt
von Micky am 02.02.2011 08:52Danke für die Artikel, Dani. Beim ersten hatte ich das mulmige Gefühl, die Verfasser kennen mich. Ich stelle mich ja immer so an, wenn ich ein neues Medi nehmen soll, lese die Packungsbeilage von vorn bis hinten usw....
Gruß Micky
Re: Der Nocebo-Effekt
von Gaby am 02.02.2011 12:07Sehr interessant.Habe ich noch nie was von gehört.Ich lese auch keine Packungsbeilagen.Also eher nur die Wirkungsweise des Medikaments,aber die Nebenwirkungen studiere ich nicht vorher.Wenn mir dann irgendwas komisch vorkommt schaue ich mal nach.
Meine Mutter macht das auch ,sitzt vor dem Beipackzettel und ist fix und fertig .
Die Grösse und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen,wie sie die Tiere behandelt.(Mahatma Gandhi)
fellfrosch
Gelöschter Benutzer
Re: Der Nocebo-Effekt
von fellfrosch am 02.02.2011 12:11meine auch, und dann nimmts es sicher nicht, weils alle zustände kriegt ...
Re: Der Nocebo-Effekt
von Kratzbaum am 02.02.2011 12:40"Ich weiß schon, warum ich mir vor der Einnahme von neuen Medikamenten so gut wie nie die möglichen Nebenwirkungen durchlese"
Oder sich die positiven Wirkungen vorstellen und die Medikamente nicht nehmen. Das nennt man dann Selbsthypnose.
Re: Der Nocebo-Effekt
von wuschel am 02.02.2011 15:24Die Nebenwirkungen im Beipackzettel vorher zu lesen habe ich mir abgewöhnt. Das man sich dann etwas "einredet" kann ich mir vorstellen. Dummerweise habe ich meistens Nebenwirkungen, dann lese ich mir die Nebenwirkungen im Beipackzettel im Nachhinein durch und fühle mich dann bestätigt.
Der Hammer war dann die Aussage eines Arztes als ich ihm die Beschwerden schilderte, warum ich die Tabletten abgesetzt hätte: "Das kann nicht sein, das bilden sie sich ein". Und ich hatte es mir wirklich nicht vorher durchgelesen. Ich schwöre!
LG an Alle
Sabine