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Re: Mein Roman mit Fokus SLE - Was haltet ihr davon?
von surfhippie am 19.12.2013 17:11„Ich habe eine unheilbare Krankheit", sagte sie vehement.
Ihre Finger lösten sich aus der krampfhaften Umklammerung des Lakens. Eine Woge der Unbeschwertheit rollte durch sie hindurch. Dasselbe Gefühl, wie auf dem Kamm einer Welle zu reiten, wie Straßen, die auf Wasser erbaut waren. Die Wahrheit war kein Akt der Selbstentblößung mehr, sondern eine notwendige Bewusstseinsschärfung. Als man ihr die Diagnose zum ersten Mal einbläute, war sie umgeben von einer, für die brüske Realität undurchlässigen Kapsel. Das Gewitter drum herum, konnte ihr nichts anhaben, weil sie stets im Trockenen saß. In der Kapsel war sie ihr eigener Meister. Sie glaubte nur das, was sie glauben wollte. Für unbequeme Themen gab es schlicht und ergreifend keinen Platz. Warum sollte sie akzeptieren, dass sie lebenslänglich einen Pakt mit dem Wolf eingegangen war? Sie hatte bis zu ihrem fünfzehnten Lebensjahr nicht einmal von der Existenz eines solchen gewusst, geschweige denn Bedenkzeit gehabt, um sich über die damit einhergehenden Konsequenzen bewusst zu werden.
Es war wie ein Schlag ins Gesicht, genau genommen beinhaltete diese Redewendung das heimtückische Spezifikum der Erkrankung. Es richtete sich gegen den eigenen Körper, indem es ihn peu a peu zerstörte, wenn man es nicht schaffte, das Immunsystem gezielt zu unterdrücken. Dass sie Medikamente einnehmen sollte, um ihren Körper bewusst zu schwächen, war nur eine weitere endlose Umlaufdrehung in der Spirale des eigentlich Unvorstellbaren. Ihr wurde auf einen Schlag speiübel. Alles drehte sich. Es war jedoch nicht alles dem Untergang geweiht, was sich auf der Bahn der Spirale entlangbewegte. Die Polarität der Dinge durfte nicht außer Acht gelassen werden.
Wo etwas zu Ende ging, formierte sich eine neue Einheit. Die Spirale drehte sich nicht nur nach innen. Der Wirbel sog nicht nur ein, sondern stieß auch aus. Schöpfung und Vergänglichkeit waren untrennbar miteinander verbunden, erkannte Eve mit neuer Klarheit.
„Das tut mir leid – unterbrach er Eves Gedanken - wenn du nicht darüber sprechen willst, dann müssen wir das nicht."
„Doch – erwiderte sie mit einer festen Stimme - zu lange habe ich geschwiegen. Weißt du, ich habe es satt mich immer verstecken zu müssen, nur weil einem diese kranke Welt vorgaukelt, dass es abnormal ist, wenn man chronisch krank ist",
fuhr sie aufbrausend fort. Der Knoten war geplatzt. Sie fühlte sich endlich angekommen. Mit Gregori hatte sie nie über ihre Krankheit sprechen können, doch mit Tom schien alles so leicht. Vielleicht war es sogar gut, so wie es gekommen war. Dass Gregori mit einer anderen Frau getanzt hatte, war womöglich nicht der eigentliche Grund, warum sie so außer sich reagiert hatte. In ihrem früheren Leben, als der Wolf seelenruhig schlief und sie so tat, als ob er schon längst tot war, hätte es sie auch nicht gestört.
Zudem waren die Voraussetzungen, als sie die Bekanntschaft mit Gregori machte, nicht gerade die besten gewesen. Sie hatte sich in diese Reise gestürzt, um zu sich selbst zu finden. Es war nicht richtig gewesen, sich stürmisch zu verlieben. Ein Urlaubsflirt an sich wäre auch nicht schlimm gewesen, solange es sie bei einem solchen belassen hätte. Sie war zu weit gegangen, als sie ihn zu sich nach Hause einlud. Nach dem Zwischenfall mit Oma Hollis plötzlichen Tod hätte sie es besser wissen müssen. Wie konnte sie nur so naiv gewesen sein zu glauben, dass eine oberflächliche Liebelei ihr helfen würde, den Schock über die Rückkehr des Wolfs verblassen zu lassen? Es hatte alles nur noch schwerer gemacht. Die Erkenntnis darüber war zum ersten Mal ein wahrhafter Siegeszug auf dem bisher erfolglosen Schlachtfeld.
„Wie ist das unheilbar krank zu sein", unterbrach Tom Eves plötzlich hereingebrochenen Bewusstseinsstrom.
Mit dieser Frage hatte Eve nicht gerechnet. Irgendwo war sie absehbar gewesen, doch die gewaltige Entladung all jener Gefühle, die sich über so viele Jahre in ihr aufgestaut hatten, war mächtiger, als dass sie eine vernünftige Antwort geben konnte. Sie dachte nach, wie sie Tom ihre Krankheit näher bringen konnte. Es war nicht leicht jemanden begreifbar zu machen, wie unberechenbar ihr Wolf sein konnte, vor allem dann, wenn alles friedlich zu sein schien.
Ich brauche eine Geschichte, dachte sie. Etwas womit sie ihn fesseln konnte. Sie wollte von Tom verstanden werden. Doch genauso wollte sie, dass er einen guten Einblick in ihre Leidensgeschichte bekam, weil sie genau wusste, dass er sie mit Allem, was dazugehörte verstehen wollte. Es dauerte nicht lange, bis sie darauf kam, dass es die Löffelgeschichte sein würde. Man hatte ihr diese Geschichte zum ersten Mal erzählt, als sie ein paar Tage nach der Diagnose im Krankenhaus lag.
„Hast du hier irgendwo Löffel. Ich meine viele Löffel. Ganz viele Löffel", schoss es aus ihr heraus.
„Hmm, ich schau mal in der Küche nach. Kemal hat mal ein ganzes Service von seiner Patentante geschenkt bekommen.
Wir haben es nie aufgemacht, weil uns zwei Löffel reichen und die hatten wir so oder so", entgegnete Tom etwas perplex.
Sogleich stand er auf und kam wenig später mit einer Packung zurück. Er riss sie auf und verteilte das Besteck auf dem Boden vor ihnen. Es klirrte. Es schepperte. Eve lächelte, trennte die Gabeln und Messer von den Löffeln, nahm letztere in die Hände und begann mit ihrer Geschichte.
„Stell dir vor diese Löffel – sie demonstrierte sie noch einmal – stehen für bestimmte Aufgaben. Jeder steht dabei für eine einzelne. Du bekommst von mir jeden Tag einen solchen Berg Löffel, aber immer dieselbe Anzahl. Nicht mehr und nicht weniger. Es liegt an dir, die Löffel sinnvoll einzuteilen, um all diejenigen Aufgaben zu erledigen, die du dir für den Tag vorgenommen hast."
Sie machte eine kleine Pause und schaute Tom in die Augen. Sie spürte intuitiv, dass ihn die Geschichte nicht losließ. Er wollte unbedingt erfahren wie sie weiterging. Die Message durchdringen. Sie reihte die Löffel vor ihm auf und forderte ihn auf sie zu zählen. Er solle sich die Zahl merken, sagte sie. Nun ließ sie ihn seinen Tag, vom Aufstehen bis zum Schlafengehen, in Aufgaben zerlegen.
„Also was machst du als Erstes, wenn du morgens aufstehst", fragte sie ihn erwartungsvoll.
„Zähneputzen", antwortete er ohne zu überlegen. Daraufhin nahm sie ihm einen Löffel ab.
„Was machst du als nächstes", schloss sie an die erste Frage an.
„Naja, ich denke ich mach mir was zum Frühstück." Ein weiterer Löffel schmälerte das Inventar.
„Dann gehe ich aus dem Haus. Zur Arbeit", sprach Tom weiter. Wieder verschwand ein Löffel.
„Ich arbeite im Garten. Danach mache ich mich an meine Kunstarbeiten." Es sprudelte nur so aus ihm heraus. Er bemerkte in seiner Aufzählung gar nicht, wie nach und nach Löffel um Löffel wegkam. Schließlich war es bereits früher Abend.
„Ich koche mir was zum Essen", lautete die nächste Aufgabe. Ehe er weiter planen konnte, bremste ihn Eve. Er hatte das Spiel noch nicht richtig verstanden, sagte sie. Anschließend forderte sie ihn auf, die verbliebenen Löffel zu zählen. Er hatte beim Sprechen die ganze Zeit nur Worte fallen gelassen, ohne über deren Sinn nachgedacht zu haben und obendrein noch die Löffel außer Acht gelassen. Das war ein fataler Fehler gewesen. Als er vor sich auf den Boden schaute, stellte er ernüchternd fest, dass kein Löffel mehr übrig geblieben war und dabei war der Abend gerade erst angebrochen.
„Für einen Gesunden spielt es keine Rolle wie viele Löffel er hergibt, denn er muss sich darüber keine Gedanken machen. Er hat einen unbegrenzten Vorrat. Für mich hingegen übernimmt jeder Löffel eine bestimmte Funktion. Ich muss Tag für Tag mit der gleichen Menge auskommen und darf deshalb nicht so verschwenderisch sein. Wenn ich beispielsweise Lust auf einen Kinoabend hab, dann muss ich dafür gleich drei Löffel einkalkulieren. Einen für das Hinkommen, einen für die Dauer des Films und einen für das nach Hause gehen. Jeder Löffel steht für einen Kraftakt. Ich weiß dabei nie, ob ich nicht doch noch einen Löffel mehr brauche. Es gibt bessere und schlechtere Tage", klärte sie seinen Fehler mit einer spielerischen Leichtigkeit auf.
Während sie sprach, zog ihre Vergangenheit nebulös an ihr vorbei. Sie war selbst all die Jahre nach der vorübergehenden Ruhigstellung des Wolfs ignorant mit ihren Löffeln umgegangen, wurde ihr schlagartig bewusst. Sie hatte viel zu viele aus dem Fenster geschmissen und darüber hinweg die wertvollen Aufgaben, die sie mit ihnen hätte anstellen können, vernachlässigt. Tom hatte nun auch verstanden. Sie beide würden ihre Löffel fortan besser im Auge behalten. Sie wie ihren Augapfel hüten.
Durch ihren letzten Schub, der sie zu dem gebracht hatte, wo sie jetzt war, wurde ihr die wohl, wichtigste Lektion ihres Lebens zuteil. Die Löffelgeschichte hatte ihr nun endgültig die Augen geöffnet. Wenn man etwas nur erzählt bekommt, hört man meist nur passiv zu. Erst, wenn man die Geschichte jemand anderem erzählt, erwacht sie zum Leben. Tom sammelte die Löffel ein und legte sie zurück in die Packung.
Eve hatte endlich gelernt ihre Krankheit nicht länger als ein Makel anzusehen, den es zu vertuschen galt, sondern als einen notwendigen Abschnitt auf der Wendeltreppe des Lebens. Jede Stufe stand für eine Prüfung, die es zu bewältigen galt. Irgendwann würde diese Sichtweise, wie selbstverständlich in ihre etablierten Denkmuster übergehen, um jeden minimalen Anflug von Verzweiflung im Keim zu ersticken. Das auslösende Moment dieser erkenntnisreichen Metamorphose war Tom zuzuschreiben. Die Wahrheit, die von den Wänden auf ihren Körper abperlte, ließ sich nicht abweisen. Sie war wie Wasser. Heilwasser. Die Quelle hieß Tom.
„Es gibt da noch etwas", sagte sie diesmal überzeugter, so als ob sie einem Plan folgen würde. Dem Plan ihre Krankheit nach und nach zu entblößen, Tom gegenüber. Sie abzustreifen, diese zweite Haut.
Sie führte ihre Hände an den Kopf, schob ihre Finger unter das Haar, die absolute Stille der Nacht wurde durch ein Klicken zerrissen. Klick. Und nochmal. Klick. Darauf folgten vier weitere Klicks, bis etwas auf das Laken fiel, von dem Tom wusste, dass es für Eve die größte aller Überwindungen darstellte. Haare. Glänzend, wie poliertes Gold, hatte er festgestellt, als er es zum ersten Mal damals in der Notaufnahme gesehen hatte. Das Gold lag nun zwischen ihnen, wie ein Manifest. Das Manifest einer tapferen jungen Frau das nackte Gesicht des Wolfes zu enthüllen. Vor seinen Augen, murmelte er verstört. Er nahm das künstliche Haarteil, schob es weit weg, strich über ihr lichtes Haar. Es fühlte sich verwundbar an, wie Knospen, die noch nicht bereit waren zu erblühen.
So als ob eine Riesenlast von ihr abgefallen war, kuschelte sie sich in seine Arme. Ihr Kopf war endlich leer. All jene Sorgen und Befürchtungen, Tom würde sie nicht verstehen oder sich gar vor ihrer Krankheit ekeln, waren unberechtigt gewesen. Sie hatte sich den Kummer von der Seele gesprochen und war nun rein. Mit sich selber. Mit der Welt. Mit Tom. Letzteres war das wertvollste für sie. Tom war der Richtige, war alles was ihr Kopf noch her gab. Der Gärtner und kein anderer. Pardon, der Gärtner und Künstler.
Re: Mein Roman mit Fokus SLE - Was haltet ihr davon?
von surfhippie am 19.12.2013 17:10Hallo achwas,
die Formatierung ist gem. den maschinellen Vorgaben für Manuskripte im Blocksatz geschrieben, doch ich werde die nächsten Leseproben den Augen des Lesers gerecht bearbeitet einstellen.
Der heutige Auszug ist aus dem Kapitel "Wahrheiten".
Re: Azathioprin oder Quensyl?
von surfhippie am 19.12.2013 17:03ich habe mit Quensyl begonnen, doch aufgrund von Bedenken nach Alternativen gefragt - ich solle Aza nehmen, wenn ich Probleme mit dem Quensyl habe, waren seine Worte. Beide Möglichkeiten führten zum selben Ergebnis.
Ich weiß nicht, ob es an der Grunderkrankung liegt, oder aber die Medi-Kombi für meine trüben Gedanken, die Antriebslosigkeit und die Müdigkeit verantwortlich sind, deshalb wollte ich Aza testen, doch ich bin mir unsicher darüber, ob eine Umstellung die Sache verschlimmbessern würde...
Re: Mein Roman mit Fokus SLE - Was haltet ihr davon?
von surfhippie am 18.12.2013 19:26Hallo,
danke für eure Meinungen! Ich finde, dass man die Hand nicht vor den Mund halten sollte, wenn man WAS zu sagen hat. Genauso wie ich es geschrieben habe, ist es mir ergangen.
Ich war 15, volle Kanne Pubertät und zusätzlich soll ich mich mit existenziellen Fragen auseinandersetzen, wo andere Flaschendrehen über ihr Schicksal entscheiden lassen...
Das oben ist ein Auszug aus dem Kapitel "Unsichtbar", wo es speziell um das Thema Verhütung im jungen Alter geht. Die ersten Erfarungen mit Sex, die ohehin überfordend genug sind und darüber hinaus wird einem von dem Gebrauch der Pille abgeraten...Alternativen???
Ich schreibe nicht viel anders, als all die anderen (Jugend)Autoren unserer Zeit, nur mit dem Unterschied, dass ich Wohlstandsverwahrlosung, Schulschwänzerei, Drogenkonsum, Magerwahn, Depressionen, Werteverfall, Ausgrenzung, Identitätsverlust etc NICHT als existenzielle Themen ansehen, sondern vielmehr das Bewusstein schärfen möchte für die Dinge, die wirklich einen Menschen zu dem machen, was er ist - der lebenslange Kampf ums (Über)Leben mit einer Krankheit, die quasi alle Stationen des Heranwachsenden bis hin zum Erwachsenen und darüber hinaus bestimmt.
Danke.
Re: Mein Roman mit Fokus SLE - Was haltet ihr davon?
von surfhippie am 18.12.2013 19:15„Du siehst aber nicht krank aus", sagten sie, als sie eines Tages wieder in die Schule kam. Dabei inspizierten sie ihr Gesicht auf der Suche nach Anzeichen, um ihre Aussage nachvollziehen zu können. Warum mussten Leute, die vorgaben krank zu sein, auch krank aussehen? Und wie sah man überhaupt aus, wenn man krank war? Sahen sie alle gleich aus? Gab es etwa Mindestvoraussetzungen, um in ihren Kreis aufgenommen zu werden?
Eve schrieb diese Fragen in ihren Blog, ohne auf ihre persönliche Krankheit näher einzugehen. Seit sie erkrankt war, zeigte sich ihr die Welt in einer anderen Verkleidung, insbesondere die Menschen um sie herum. Wenn sie schon ihre Klassenkameraden nicht verstanden, wie sollten sie dann Fremde erst verstehen, dachte sie. Es gab immer noch zu wenig Austausch im Netz, ganz zu schweigen von Beiträgen in TV und Rundfunk. Heute zum Glück immer noch mehr als früher. Früher war sie zudem nicht ganz so internetaffin gewesen, sodass sie nicht viel mehr über den Lupus in Erfahrung brachte, als dass man ihn lebenslänglich mit sich herumtrug. Vor zwanzig Jahren war es nichts Besonderes, wenn man an seinen Folgen starb. Durch den medizinischen Fortschritt ließ sich der Wolf heute viel besser therapieren, sodass eine nahezu normale Lebenserwartung erreicht werden konnte. Man musste sich jedoch scharf an die Anweisungen der Weißkittel halten, andernfalls riskierte man einen ungünstigen Verlauf, was indirekt auf eine tödliche Folge hin zusteuerte. Der Spezialist, bei dem Eve in Behandlung war, schien geahnt zu haben, dass sie ihre Medikamente nicht vorschriftsgemäß einhielt. Flunkern war noch nie ihre Stärke gewesen, musste sie sich eingestehen. Die ersten drei Jahre bis zum Abitur hatte sie die Medikamente, wie selbstverständlich eingenommen. Sie wusste gar nicht mehr genau, wann sie damit endgültig gebrochen hatte. Das Cortison ließ sie bereits nach ein paar Wochen weg, doch die sechsmaligen Endoxangaben hatten den Lupus schon so weit eingedämmt, sodass es keinen Unterschied machte, war ihre Meinung. Das Cortison hatte man sowieso kontinuierlich reduziert, bis man es irgendwann gar nicht mehr einsetzte, da die Nebenwirkungen zu schädigend für den restlichen Körper waren. Das Cellcept hingegen, welches das wichtigste Basismedikament gegen den Lupus darstellte, war eine Art Garant dafür, die Krankheit in Schach zu halten. Bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr machte sie sich auch keine Gedanken darüber. Wieso auch? Sie spürte kaum Nebenwirkungen. Keine Schmerzen. Zwei Pillen morgens, zwei abends. Ganz easy. Der Wandel kam erst, als sie bei einem ihrer vierteljährlichen Kontrolltermine beim Arzt war. Es war jedoch nicht ihr behandelnder Arzt, der sie all die Jahre betreut hatte, sondern eine neue Ärztin, die sie routinemäßig untersuchte. Bei dem Gespräch fiel ein Satz, der sie das Cellcept fürchten lehren sollte. Da eine Pille bei ihrem Krankheitsverlauf kontraproduktiv sei, sollten Sie das mit dem Sex am besten ganz sein lassen, hatte sie gehässig gesagt. Dass sie die Pille nicht einnehmen durfte, war ihr nichts Neues. Darüber hatte man sie schon ziemlich früh aufgeklärt. Dann würde sie eben mit Kondomen verhüten, lautete ihre Alternative. Sie hatte im Netz gelesen, dass dies eine überaus sichere Verhütungsmethode sein konnte, wenn man sie richtig anwendete. Bisher war auch nie was passiert. Nur einmal, als ihre Tage wochenweise ausblieben, bekam sie es mit der Panik zu tun. Was wäre, wenn sie schwanger war, war eine Frage, die sich jeder Teenager mindestens einmal in seinem Leben stellen musste. So auch Eve. Sie nahm es deshalb sogar ziemlich gelassen. Es gehörte irgendwie zum Erwachsenwerden, dachte sie. Ein, vor den Augen von Oma Holli gut geheimgehaltener Schwangerschaftstest aus der Drogerie brachte die Erlösung. Negativ. Dass das Kondom geplatzt sein könnte, war ohnehin außer Frage gestanden, weil sie manchmal sogar so scharf darauf achtete, dass sie die Hauptangelegenheit nur schwer genießen konnte. Trotz der Restunsicherheit, die von Kondomen ausging, wollte sie nicht auf das verzichten, was die Anderen aus ihrer Stufe auch taten. Sie wollte zu ihnen gehören. Vor allem jetzt, wo sie wieder so schlank und attraktiv für die Kerle war. Diese bescheuerte Ärztin würde ihr das niemals wegnehmen können, wusste sie in in diesem Augenblick ganz genau. Gummis sind ziemlich in Ordnung, antwortete sie lax, woraufhin sie die Ärztin fassungslos anstarrte. Du riskierst eine Fehlgeburt, oder noch schlimmer, eine Missgeburt, schrie sie fast schon. Für Eve erschlossen sich ihre Worte nicht. Warum sollte ihr Kind behindert werden, auch dann, wenn sie es eines Tages in Erwägung zog, bewusst schwanger zu werden? Jede Frau wünschte sich schließlich später mal Kinder. Die Ärztin schien sie für ein blauäugiges Dummchen zu halten, kam es Eve vor, als sie ihr die Nebenwirkungen von Cellcept in absichtlich einfacher Sprache vorpredigte, sodass es selbst Kindergartenkinder verstanden hätten. Cellcept war, wie Contergan für Lupus-Patienten, stellte sie völlig entsetzt fest. Ein Skandal. Nie wieder würde sie Sex haben können, solange sie das Zeug schluckte, wurde ihr mit einem Mal bewusst. Sie musste sich entscheiden zwischen Sex und Gesundheit. Zwischen einem Leben und keinem Leben. Zwischen einer erlebten und einer verschwendeten Jugend. Sie brauchte nicht lange zu fackeln, um darauf zu kommen, dass sie eher ihre Gesundheit aufs Spiel setzten würde, um dafür Zeuge eines der aufregendsten Abschnitte ihres Lebens sein zu dürfen. Als so viel Zeit verstrichen war, sodass sie sich absolut sicher war, dass ihr Körper das Cellcept abgebaut hatte, schmiss sie sich in ihren heißesten Fimmel, nahm einen großen Schluck von dem verbotenen Alkohol und zog Arm in Arm mit ihrer besten Freundin hinaus in die Nacht. Grenzenloser Spaß zwischen ihren Beinen folgte. Fuck you Lupus, dachte sie, als sie voll Lust kam. Sie war wieder eine von ihnen. Vögeln kein Hindernis mehr.
Jetzt war sie hier. Immer noch inmitten dieser verhängnisvollen vier Wände, die so steril und weiß waren, dass es sie schon in den Augen brannte. Es war ihre Schuld, wusste sie. Sie hatte sich damals gegen ihren Körper entschieden für den Preis von dem bisschen und dazu noch meist schlechten Sex. Das war es nicht wert gewesen. Vielmehr, es war das Dümmste, was sie machen konnte. Hätte sie die Pillen nie abgesetzt, wäre sie jetzt trotzdem hier, fragte sie sich. Krankenhäuser hatten einfach diese schier unmöglich zu ignorierende Eigenschaft, dem Menschen seine Fehler vor Augen zu führen. Drastisch. Voll bittersüßer Wahrheit. Auch Eve blieb davon nicht verschont.
Azathioprin oder Quensyl?
von surfhippie am 18.12.2013 17:24Hallo,
ich wurde vor die Wahl gestellt und weiß nun nicht, für welches Basismedikament ich mich entscheiden soll. Dazu nehme ich CellCept.
Ich habe die letzten Tage Quensyl genommen, doch habe große Angt vor einer Verschlechterung meiner Sehkraft, außerdem leide ich unter Schlafstörungen, trüben Gedanken und Kopfweh.
Was nehmt ihr?
Re: Mein erstes ›wolfsMal‹ hab ich aufgeschrieben
von surfhippie am 18.12.2013 01:32oh sorry!! Ich habe erst jetzt bemerkt, dass ich auf den Link von Dompteur gelangt bin und auf einen alten Beitrag geantwortet habe Der aktuelle Bezug zu meinem Beitrag findet sich im Forum in der Rubrik Dies und das, falls jemanden mein Projekt weitergehend interessiert :)
Re: Mein Roman mit Fokus SLE - Was haltet ihr davon?
von surfhippie am 18.12.2013 01:25Das ist ein Auszug aus dem Kapitel "Erstbiss". Eve erinnert sich an den Ausbruch ihrer Krankheit, ihre erste Begegnung mit dem Wolf, als sie sieben Jahre später wieder im selben Krankenhaus liegt.
Wie gefällt euch die Leseprobe?
Ich habe beschlossen eine autobiografische Leidensgeschichte zu schreiben, in der Hoffung den Betroffenen bzw. allen Interessierten durch die Ich-Figur näher zu kommen.
Den obigen Roman habe ich zwar vordergründig aus der Perspektive der Leidtragenden geschrieben, doch die beiden Figuren und ihre Probleme nehmen ebenso viel Platz ein in dem Gesamtwerk, sodass sich der Fokus SLE verschiebt zugunsten anderer Themen des menschlichen Seins.
Ich werde bald eine längere Reise machen, die ich dazu nutzen möchte, die Geschehnisse diesen Jahres zu verarbeiten. Ich hoffe, dass ich es schaffen kann meine Autobiografie im Lichte der Krankheit neben Krebs/MS-Erfahrungen auf dem Büchermarkt zu platzieren, denn SLE sollte mindestens denselben Stellenwert in der Öffentlichkeit erlangen!
Re: Mein Roman mit Fokus SLE - Was haltet ihr davon?
von surfhippie am 18.12.2013 01:24Der Wolf machte einen Krüppel aus ihr. Nachdem das Knie dank Cortisonsalbe abschwoll, folgte auch schon der nächste Wolfenstreich. Seine Bisse gingen unter die Haut und sogar noch etwas tiefer. Rot und violett angeschwollene Fußknöchel, steife Schultern, die das Schlafen auf der Seite zur Qual machten, geschwollene Handknöchel wie Tennisbälle und steife Finger, als ob man sie in ein Eisbad getunkt hätte, bildeten die rheumatoiden Symptome der heimtückischen Krankheit ab. In ihrem Inneren sah es nicht viel besser aus. Ihr Körper war ein einziges Schlachtfeld, dachte sie. Gesunde Zellen fraßen nicht nur abgestorbenes Gewebe, sondern auch sich selber auf, wenn sie keine Lust mehr hatten weiterzuleben. Wie Selbstmord. Und Eve konnte nicht das Leiseste dagegen unternehmen. Sie war machtlos. Hatte kein Mitspracherecht. Das reinste Massaker. Der Wolf hatte tausend Gesichter. Er war ambivalent. Muskeln, Sehnen, Knochen, Organe. Der Wolf gab sich mit allem zufrieden, was er auseinandernehmen konnte. Zerfleischen. Da Dr. Seiler seine Existenz nun entlarvt hatte, sah sich das Biest im rotbraunen Pelz im Recht seine Gelüste offen auszuleben. Dazu gehörten Beißen, Kratzen, Grölen und Jaulen, manchmal konnte es auch vorkommen, dass er sich einfach nur die Pfoten leckte und die Zunge aus dem Maul heraushängen ließ, ohne auch nur ein einziges Mal seine Zähne zu fletschen. Sie waren auch gerne mal Faulenzer, die Wölfe. Man musste schließlich seine Kräfte gut einteilen. Unheilbar krank sein bedeutete, dass sie so lange am Leben bleiben würden, wie ihr Wirt noch am Leben war. Es wäre viel zu langweilig, immer nur zu schlafen und nichts zu tun. Ausbrechen konnten sie nicht. Der Körper ihres Wirts war ihre erste und letzte Spielwiese. Sie waren über diese Begrenztheit genauso informiert, wie das Opfer. Beide wussten was ihnen bevorstand. Niemand war im Vorteil. Sie begegneten sich auf Augenhöhe, wenn man rein vom Wissensstand ausging. Was die Macht betraf, so dürfte ihnen beiden ziemlich klar sein, wer wen beherrschte. Es lag auf der Hand, jedenfalls für die meisten Menschen. Eve war jedoch niemand, der sich in diese Allgemeinheit einreihte. Sie war selbst betroffen. Sie hatte die Wahl, entweder Wirt oder Opfer zu sein. Der Wirt war gegenüber seinem Gast eindeutig im Vorteil. Der Wolf hatte nichts zu melden, wenn er auch in Zukunft von ihr bedient werden wollte, lautete Eves Kampfansage. Er hatte sich gefälligst unterzuordnen, wenn er seinen Fraß bekommen wollte, dieser elende Köter. Von Beginn an verfolgte sie die Strategie, den Wolf unerbittlich fühlen zu lassen, dass sie die Kontrolle über ihn hatte und nicht anders herum.
Obgleich Dr. Seiler versuchte, ihr das Gegenteil zu verklickern, ließ sie sich nicht in ihrer monopolen Alleinherrschaft erschüttern. Sie würde ihren haarigen Freund zähmen, bis er irgendwann vor Furcht erstarrte und nie wieder aufwachte. Dr. Seiler musste ja nichts davon wissen. Es reichte, wenn der Wolf und sie selbst es wussten. Eine Überweisung in ein Krankenhaus brachte die vollständige Wahrheit ans Licht. Man schloss eine Nierenbeteiligung nicht aus, doch nur eine Biopsie konnte den fundierten Nachweis erbringen. Es war die Zeit, in der Eve erwachsen wurde. Wer wurde es nicht, wenn man mit Patientenaufklärungen und Einverständniserklärungen für lebensgefährdende Eingriffe bombardiert wurde, von denen man am liebsten nie was gehört hätte. Doch Oma Holli wollte, dass Eve selbst darüber entschied, was man mit ihrem Körper anstellte, auch wenn sie noch nicht achtzehn war. Es nützte nichts sich mit potenziellen Komplikationen auseinanderzusetzen, wenn man keine andere Wahl hatte und wieder gesund werden wollte, was hinsichtlich einer unheilbaren Krankheit sowieso nie möglich war. Die Biopsie hatte deshalb nur den Zweck herauszufinden, inwieweit der Lupus die Nieren schon geschädigt hatte. Eve war bei ihrem ersten Eingriff unter Narkose fünfzehn Jahre jung. Die anderen aus ihrer Klasse schossen sich an den Wochenenden mit reichlich Alkohol ins Abseits, während man ihr hier legal Lidocain spritzte. Ohne Schmerzmittel hätte sie es die ersten Wochen nicht ausgehalten. Der Lupus war noch viel zu aggressiv und noch nicht bereit zu kooperieren. Er wütete wie von Sinnen. Man musste sich erst einmal an sein Tempo gewöhnen, seine Grenzen ausloten, ihn vorsichtig anlocken bis man den Dreh raus hatte und ihn mit seinen eigenen Mitteln schlagen konnte. Bis dahin half es, brav die Medikamente zu schlucken, die den Anschein erweckten genau die Symptome heraufzubeschwören, die man eigentlich zu bekämpfen ersuchte. Das Lupus-Paradoxon war hiermit geboren. Da der Wolf tausend Gesichter hatte, musste man ihm tausend verschiedene Arten von Scheiße in die Fresse feuern, damit er Ruhe gab. Die größte Scheiße trug den Namen Cyclophosphamid, worunter sich kein halbwegs normaler Mensch etwas vorstellen konnte, wenn er noch nie, mit etwas mehr, als die Allgemeinmedizin hergab, in Berührung gekommen war. Gut für ihn, schlecht für all diejenigen, die die Arschkarte gezogen hatten, so wie auch Eve. Unter dem Begriff Chemo jedoch konnten sich aber auch die Glückspilze auf der anderen Seite etwas vorstellen. Kahle Köpfe, dünnhäutige, mit Nadeln zerstochene Arme, grün anlaufende Gesichter mit Augen, so stumpf und leer. Genauso leer, wie die Mägen, die zu ihren Trägern gehörten. Leer, weil sie alles erbrachen, womit sie gefüllt waren, wegen der Nadeln, durch dessen millimeterbreite Hohlöffnung eine Substanz in die zerstochenen Arme durchsickerte. Chemo. Oder Endoxan. Oder für die Klugscheißer unter ihnen Cyclophosphamid. Früher wäre Eve genauso leichtsinnig gewesen zu glauben, dass nur Krebskranke Chemo bekamen, heute wusste sie es besser. Lupus-Kranke durften an diesem Kotzvergnügen gleichermaßen teilhaben. Welch Freude, dachte sie polemisch. Da war ihr Borreliose viel lieber gewesen. Fünfhundert Milligramm hochprozentiges Gift tröpfelten, seit man das Untier in ihr endlich identifiziert hatte, jede zweite Woche in ihre Venen und das insgesamt sechsmal. Nach jeder Sitzung verlor sie ein Büschel Haare, bis am Ende nicht viel mehr als ein paar Fuseln übrigblieben, die sich spinnennetzartig über ihren noch kindlichen Schädel zogen. Sie sah aus, wie eine Krebskranke, waren ihre Worte gewesen, als sie ihr Profil im Spiegel betrachtete. Von da an wusste sie, dass sich der Lupus und der Krebs die Hand reichen konnten. Gleichzeitig erkannte sie auch, dass der Lupus ernst zu nehmen war, wenn er in der Lage war, so viel Schaden wie der Krebs anzurichten. Nach der Chemotherapie stützte sich ihr Medikamentenkonsum auf fünf Säulen. Cortison gegen die Gelenkschmerzen und Entzündungen, Paracetamol gegen die Fieberschübe, Pantozol gegen die Magenschmerzen, Cellcept und Quensyl, um das überschießende Immunsystem herunterzufahren, was zugleich auch bedeutete, dass man sich umso mehr vor äußeren Einflüssen schützen musste, da man die körperliche Abwehr bewusst schwächte und sich deshalb schneller bei Anderen anstecken konnte. Im Krankenhaus trug das Personal Mundschutz, wenn es in Eves Nähe war. Das Desinfektionsspray nahm fortan einen festen Platz in ihrem Kulturbeutel ein, genauso wie die ganzen Pillenpackungen. Damit sie einen Überblick über ihren täglichen Medikamentencocktail bewahrte, hatte ihr Oma Holli ein Miniatur-Medizinschränkchen in Form von sieben übereinander gestapelten Medikamentenboxen geschenkt. Jede Box stand für einen Wochentag und war zudem noch dreigeteilt in morgens, mittags und abends, sodass es zu keinen Verwechslungen kommen konnte. Eve spülte jeden Tag pflichtbewusst den Inhalt dieser Boxen mit einem großen Schluck Wasser runter, ohne sich über deren Nebenwirkungen zu scheren. Sie war froh, wenn sich dadurch wenigstens die Schmerzen betäuben ließen. Vergaß sie mal eine Tagesration dauerte es nicht lange, bis die Folgen ihrer Unachtsamkeit bis ins Knochenmark vordrangen und der Wolf alles, was ihm dabei in die Quere kam gleichermaßen zerfetzte, wie Schafe die mit offenen Mägen und heraushängenden Eingeweiden von der Weide kamen. Er war aktiv, der Lupus. So bezeichneten die Ärzte ihren damaligen Zustand. Das Gegenteil nannte sich Remission, der Idealzustand. Das, worauf man hin arbeitete. Den Wolf in eine Art Winterschlaf zu versetzen war das Maß aller Dinge, wenn man ihn schon nicht töten konnte. Das Lupus-Paradoxon zeigte schon nach nur wenigen Wochen erste Spuren. Ihr Gesicht quoll vom Cortison auf, ihre Haare wurden lichter, die Nägel brüchiger, die Haut trockener. Im Spiegel erkannte sie sich plötzlich nicht mehr wieder. Das einzig Positive an der Therapie, die aus ihr ein Monster machte, war, dass sie nicht zur Schule gehen konnte. Auch wenn man es ihr erlaubt hätte, wäre sie niemals auf die Idee gekommen, sich als ehemaliges Leichtgewicht nun als Zwillingsschwester von Cindy aus Marzahn zu präsentieren, ganz zu schweigen von den Reaktionen ihrer Mitschüler,wenn diese ihre Geheimratsecken entdeckten. Sie fühlte sich nicht mehr weiblich. Das Cortison hatte einen Wackelpudding auf zwei Beinen aus ihr gemacht. Auf eigene Faust beschloss sie deswegen das Cortison abzusetzen. Damit fing alles an. Erst ließ sie es nur einen Tag aus. Aus einem wurden zwei. Aus zwei drei und so weiter, bis sie es eines Tages ganz verschwinden ließ. Oma Holli musste davon nichts mitbekommen. Trotz dem Wegfall dieses Basis-Lupus-Medikaments, besserte sich ihr Zustand kontinuierlich, bis sich irgendwann sogar der Idealzustand einstellte. Remission hieß das neue Paradies. Der Wolf hatte ein ganzes Jahr lang seine Klauen gewetzt. Nun waren sie endlich abgestumpft, triumphierte es in Eve auf. Die monatlichen Arztkontrollen wurden nur noch auf vier Termine im Jahr begrenzt und auch Oma Holli achtete nicht mehr ganz so streng auf die Einnahme ihrer Pillen, was es Eve ungemein erleichterte, ihren geheimen Plan zu verfolgen. Dieser trug den Namen „Operation zurück ins Leben" und beinhaltete perfide Trainings- und Essensanweisungen, die sie wieder in Form bringen sollten. Sie hungerte sich sogar unter ihr einstiges Normalgewicht runter. Mit jedem Kilo, das von ihr purzelte, gewann sie mehr Selbstsicherheit und darüber hinaus die Aufmerksamkeit der Jungs aus ihrer Stufe. Sie fühlte sich nach diesem Schicksalsjahr wie neugeboren. Eve 2.0 war im Vergleich zum Vorgängermodell straighter, rebellischer und freier. Frei in allem. Im Handeln, im Klappe-zu-weit-aufreißen, im Denken, im Fühlen, im Ausprobieren ihrer Reize und der Wirkung auf das andere Geschlecht. Das alles musste Oma Holli nicht wissen. Genausowenig wie von dem Schuhkarton unter ihrem Bett, in dem die ungeöffneten Pillenpackungen drohten überzuquellen. Um nicht aufzufliegen, ließ sie sich bei jedem Kontrolltermin ein neues Rezept ausstellen, das sie auch tatsächlich in der Apotheke einlöste. Die bunten Pillen hingegen landeten nur nicht da, wo man sie am meisten gebraucht hätte. Eine Remission war etwas Feines, weil man die lästigen Medikamente in dieser Phase nicht brauchte. Falsch. Man glaubte sie nicht zu brauchen, weil der Wolf ruhte. Irgendwann würde es zum Eklat kommen, zum unliebsamen Wolfserwachen, wusste sie doch sie hatte auch im Netz gelesen, dass durchaus mehrere Jahre vergehen konnten, ohne dass es dazu kam. Das war der Augenblick, in dem sie die Lust überkam, mit ihrer Gesundheit, mit dem Schicksal zu parieren. Wie ein Spiel mit dem Schalk. Wer würde das Duell gewinnen? Wer würde länger durchhalten? Eve oder der Wolf?
Heute war der lang gefürchtete Tag gekommen. Das Bangen hatte ein vorübergehendes Ende. Der Sieger war gelüftet. Es war der Wolf, dachte sie voll Wehmut, noch immer an die Zimmerdecke starrend. Neben ihr auf der Ablage der Nachtkommode lag eine Box prall gefüllt mit Pillen in allen möglichen Farben, Größen und Formen. Sie sah so ähnlich aus, wie jene, die sie von Oma Holli geschenkt bekommen hatte. Der einzige Unterschied zu früher war lediglich die Tatsache, dass sie heute mindestens eine Fingerbreite mehr Pillen schlucken durfte. Das war also der Preis für ihren Egoismus. Sie wollte doch nur wieder schön sein, seufzte sie. Was war daran falsch? Der Wolf wollte immer ein wenig schöner sein. Er war in Wirklichkeit der Egoist. Er hatte sie ausgestochen, doch das Rennen war noch lange nicht entschieden, dachte sie. Es war erst vorbei, wenn sie es beendete. Sie würde die Kontrolle, die sie einst über das Untier hatte, nicht einfach so hergeben. Da musste er sie schon zu Tode zerfleischen.
Re: Mein erstes ›wolfsMal‹ hab ich aufgeschrieben
von surfhippie am 18.12.2013 01:09Das ist ein Auszug aus dem Kapitel "Erstbiss". Eve erinnert sich an den Ausbruch ihrer Krankheit, ihre erste Begegnung mit dem Wolf, als sie sieben Jahre später wieder im selben Krankenhaus liegt.
Wie gefällt euch die Leseprobe?
Ich habe beschlossen eine autobiografische Leidensgeschichte zu schreiben, in der Hoffung den Betroffenen bzw. allen Interessierten durch die Ich-Figur näher zu kommen.
Den obigen Roman habe ich zwar vordergründig aus der Perspektive der Leidtragenden geschrieben, doch die beiden Figuren und ihre Probleme nehmen ebenso viel Platz ein in dem Gesamtwerk, sodass sich der Fokus SLE verschiebt zugunsten anderer Themen des menschlichen Seins.
Ich werde bald eine längere Reise machen, die ich dazu nutzen möchte, die Geschehnisse diesen Jahres zu verarbeiten. Ich hoffe, dass ich es schaffen kann meine Autobiografie im Lichte der Krankheit neben Krebs/MS-Erfahrungen auf dem Büchermarkt zu platzieren, denn SLE sollte mindestens denselben Stellenwert in der Öffentlichkeit erlangen!